Christa Zwernemann

Christa Zwernemann

geb. Kehrig-Korn
* 08.10.1921 in Berlin
† 04.03.2015
Erstellt von Krista Bartlett
Angelegt am 14.03.2015

Kondolenzen (10)

Sie können das Kondolenzbuch nutzen, um den Angehörigen Ihr Beileid zu bekunden, Ihrer eigenen Trauer Ausdruck zu verleihen oder um dem Verstorbenen einige letzte Worte des Abschieds mitzugeben.

Kondolenz

Ein Gedicht von Christa aus den 40er Jahren

09.05.2015 um 16:13 Uhr

In meiner Seele ist es still,

nur ab und zu ein wehes Schmerzen;

es ist, als ob Verborgnes will zum Herzen.

Es zuckt dann leiderfüllt mein Mund,

der sonst sein Lächeln stets behält,

verhalt'ne stille Tränen geben kund der innren Welt,

was vor der äußren ich bewußt verstecke.

Was hilft es auch, wenn ich sie weine?

Denn immer nur das eine ich entdecke:

ich bin alleine.

 

Kondolenz

Krista über Christa anlässlich der Beisetzung am 18.04.2015

19.04.2015 um 09:23 Uhr von Krista

Über Christa – über meine Mutter

 

Ich bin gerührt, dass so viele den weiten Weg hierher auf sich genommen haben, um noch einmal Christa gemeinsam mit anderen und uns zu würdigen. Ich finde es auch wunderbar, dass Kinder, nicht nur Christas Urenkelinnen Talisha und Kayla, dabei sind, das hätte ihr sehr gefallen. Kinder hat sie immer wunderbar gefunden, und viele Kinder mochten auch sie sehr, selbst zu fremden Kindern - irgendwo unterwegs - fand sie sofort einen „Draht“.

Zwei Personen möchte ich noch ausdrücklich begrüßen und vorstellen (für diejenigen, die sie nicht schon kennen):  Petra und Alexandre sind ganz liebe Freunde, die auch meiner Mutter immer sehr viel Freude bereitet haben. Petra Bassus ist eine hervorragende Sängerin, die ihre Darbietungsformen immer noch weiter ausbaut, Alexandre Bytchkov, ursprünglich aus St. Petersburg, jetzt Mainz, ist ein Weltklasse-Akkordeonvirtuose mit vielen Auszeichnungen. Er wird uns jetzt mit einem Solo einstimmen.

-     Solo von Alexandre -

 

Dies soll keine Trauerrede werden, sondern eine liebevolle, aber ungeschönte Erinnerung

Meine Mutter hat nach langem Ringen erschöpft aufgegeben, aber sie hat bis fast zum Schluss immer noch ihre verschmitzte Art beibehalten, sie konnte manchmal noch zwinkern, leicht grinsen oder lächeln – ihr Humor war ebenso langlebig wie sie selbst. Auf Musik, auf Singen hat sie noch Reaktionen gezeigt, ein wenig mit der Hand den Takt befolgt und wieder ein wenig gelächelt. So tapfer wie ihr ganzes Leben lang hat sie auch in den letzten Tagen noch gelebt, ja gelebt! Sie hat kommuniziert, war freundlich, höflich und einfach liebevoll und zum Schmusen aufgelegt.

Das Geheimnis der Identität ist es, dass wir uns unser Leben lang ändern und doch dieselbe Person bleiben – am Ende haben wir uns im besten Fall zu dem hin entwickelt,  was das Wesentliche in uns ausmacht. Christa ist das trotz Demenz gelungen, denn auch wenn sie durch ihre Lebensumstände oft „tough“, für manche sogar hin und wieder dominant wirkte, so war sie im Innersten unendlich liebevoll, auf das Wohlergehen ihrer Liebsten und vieler anderer Menschen ausgerichtet und lebte selbst Toleranz, Verständigung, Einigung – ihr Streben galt immer der Harmonie.

Als sie gleich nach ihrer in Berlin am 8. Oktober 1921 sehr vorzeitig erfolgten Hausgeburt als lebensunfähig erklärt wurde (Zitat „…die schafft es nicht“), konnte man nicht ahnen, dass daraus mehr als 93 Jahre würden, Jahre, die von allem etwas brachten, erste Nachkriegszeit mit schlechter Ernährungslage und Inflation, Drittes Reich, Kriegszeit mit Evakuierung, Flucht, Angst und Hunger, Frieden mit ganz neuen Herausforderungen, Glück und Lasten, Trauer, Sorgen - vor allem auch sehr viele Schmerzen, immer wieder, jahrzehntelang.

Dies alles hat sie vielleicht von Anfang an zum Überleben programmiert…

Erst ihre Eltern, dann auch ich, später vor allem Germaine: dafür hat sie gelebt! Im Beruf stand sie früh, nachdem sie mit 16 das Lyzeum abbrach und ihre Abiturpläne aufgab, weil ihr Vater so schwer erkrankt war, dass die Familie überhaupt kein Einkommen und somit kein Auskommen mehr hatte. Sie ging zur AOK, überstand gleich anfangs eine Intrige durch einen Vorgesetzten, der – wie sie erst Jahrzehnte nach Kriegsende erfuhr – als SA-Sturmbannführer verantwortlich war für die Köpenicker Blutwochen, in denen rund 500 Gegner des Naziregimes gefoltert und teilweise auch getötet oder dauerhaft geschädigt wurden. Die als „Strafversetzung“ empfundene eintönige Arbeit im Kellergeschoss bestand im alphabetischen Sortieren der Mitgliederkarteikarten. Sie zog daraus das Positive und sagte, dass es ihr später im Leben immer bei ähnlichen Anforderungen half, blitzschnell Namen oder Begriffe durchsortieren zu können.

Danach war sie im Auswärtigen Amt tätig, später nach dem Krieg als Chefsekretärin in einer Glashütte in Darmstadt und schließlich bei der Post als „Christel von der Post“ im Fernmeldetechnischen Zentralamt (FTZ). Direkt nach dem Krieg, nachdem sie nach Evakuierung des Auswärtigen Amtes nach Schlesien ins Riesengebirge vor den Russen Richtung Westen geflüchtet war, immer mit ihren Eltern, und auf Irrwegen in Lichtenberg und hier in Michelstadt landete, war sie Dolmetscherin bei den Amerikanern und „governess“ oder  „nanny“ - also Erzieherin. Mit den Kindern von damals stehe sogar ich noch in Kontakt!

Sie erfüllte all diese Aufgaben mit Bravour, doch im Fokus standen immer ihre Familie und Menschen, denen sie beistehen, denen sie helfen konnte. So kam es auch zur sehr aktiven Mitarbeit im Darmstädter Kinderschutzbund, sogar eine Weile als 1. Vorsitzende, nachdem sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen und extremen Schmerzen nicht mehr beruflich tätig sein konnte. Viele lernten sie in dieser Zeit kennen und schätzen, sie setzte sich mit Leidenschaft für Jugendliche und Kinder ein. Eine Jugendliche lebte sogar ein Jahr lang bei ihr. Nach der Kinderschutzbundzeit gab sie privat den Anstoß zur Bildung einer Gruppe ausländischer Jugendlicher, von denen sich die meisten ihr bis zuletzt verbunden fühlten. Zu ihrem 80. Geburtstag schenkten sie ihr sogar einen Bauchtanzauftritt!

Eine Jugendgruppe organisierte sie auch schon in der Nachkriegszeit im Odenwald: mit Jugendlichen, die nur wenig jünger als sie selbst waren, inszenierte sie Mundarttheater, sie, die Berlinerin, die natürlich Ourewällerisch von Dammstädtisch oder Frankforterisch nicht unterscheiden konnte.

Sprachen lagen ihr, neben Französisch und Englisch lernte sie auch sehr schnell Niederländisch, um in unserem Lieblingsurlaubsland für viele Jahre unserer Fahrradtouren schneller guten Kontakt zu bekommen; so kamen wohl meist Animositäten gegenüber Deutschen gar nicht auf, wir gewannen viele Freunde in unserem Nachbarland. Ein kleines Beispiel dafür, wie sie sich für Völkerverständigung einsetzte, sei hier kurz erzählt: Anfang der 60er Jahre verbrachten wir auch Teile unseres Urlaubs direkt an der niederländischen Küste. Natürlich bauten wir, wie unsere deutschen und schweizerischen Strandnachbarn auch eine Burg. Jedes Mal waren alle Burgen am nächsten Morgen zerstört. Meine Mutter sprach einen der jungen Bademeister an, dieser erklärte ihr, dass die schmalen Strände an der niederländischen Küste zur Haupturlaubszeit sehr voll seien und dann die raumgreifenden Burgen anderen den Platz beschränkten, damit zugleich aber auch unangenehme Erinnerungen an die deutsche Besatzung, an deutsche „Landnahme“ hochkämen. Daraufhin vereinbarte meine Mutter mit ihm, dass er seinen Landsleuten die harmlose Motivation der Deutschen, deren Burgenbauwettbewerbe an deutschen Stränden erläutern solle, während sie den Deutschen und Schweizern klarmachen wolle, hier auf Burgenbau zu verzichten.

Dieses Interesse an anderen Kulturen und wiederum vor allem an den Menschen, in denen sie immer das Verbindende – über Grenzen, Sprachgrenzen, Ethnien, Sitten, Religionen hinaus – suchte und fand, dieses Interesse verfolgte sie vor Ort genauso wie auf ihren vielen Reisen. Schon in jungen Jahren konnte sie nach Griechenland, wo sie familiäre Bindungen hatte, reisen; und dies tat sie streckenweise sogar quer durch Ungarn und den Balkan als Autofahrerin, obwohl sie bis an ihr Lebensende nie einen Führerschein besaß! Ich glaube, das blieb wahrscheinlich ihre einzige unrechtmäßige Handlung in ihrem Leben …

Sie reiste häufig auch alleine, ihrer Single-Situation geschuldet, nicht wirklich aus voller Überzeugung gewählt, aber sie wollte eben nach Rom, nach Mallorca, nach England und Schottland. Und Schottland bereiste sie mit dem Zug und auch Schiff, mietete sich kurzfristig ihre Quartiere und folgte ganz spontan Eingebungen oder sich ergebenden Chancen.

Spaß an der Freud‘“ war ihr Credo, auch um ihren Hang zur Schwermut zu überspielen. Durch ihre Freude an intelligenter, humorvoller Unterhaltung, die auch Zwischenmenschliches satirisch aufs Korn nimmt, gefiel ihr zum Beispiel auch dieses Wiener Couplet:

-     „Eine verzwickte Verwandtschaft“ (von Hugo Wiener) -

 

Das war jetzt eine geistige Herausforderung, nicht wahr? Christa stellte sich Herausforderungen, hat immer und überall offene Augen und offene Ohren für die Welt um sich herum gehabt, die unmittelbare Umgebung wie auch die ganze große Welt, hat fest daran geglaubt, dass jede und jeder Veränderungen bewirken kann. Doch häufig war sie auch niedergeschlagen und ist an Ungerechtigkeiten schier verzweifelt.

Schauspiel, Literatur, Rezitation lagen ihr am Herzen, sie war schon als Radiopionierin in jungen Jahren im Kinderfunk in Berlin tätig und wurde später sogar als Sprecherin geprüft. Ihre starke Stimme setzte sie aber auch besonders gerne beim Singen ein – nie in einem Chor, sie sang einfach so aus Lust und Freude - für Meni und mich in unseren jungen Jahren manchmal eine Peinlichkeit, wenn sie mitten im damals ziemlich sturen Darmstadt loslegte und dabei vielleicht sogar noch mit uns Kindern mithüpfte …

Durch ihren scharfen Verstand und das blitzschnelle Denken war sie manchen Menschen (nicht selten gerade männlichen Menschen) auch schon mal unheimlich oder zumindest unbequem, doch im Grunde war sie durch ihr harmoniesuchendes Wesen bei vielen beliebt und wurde auch bewundert. Sie suchte aber auch immer wieder die Auseinandersetzung, besonders in Fragen des sozialen Miteinanders. Um das Gegenüber aus der Reserve zu locken, aber auch zu tieferem Nachdenken anzuregen, spielte sie auch mal den „advocatus diaboli“, d.h. sie vertrat intensiv den Standpunkt, der eigentlich genau nicht ihrer war – und es führte meist zum Erfolg. Manche gaben dann zu, dass sie dazu beigetragen hat, einen anderen Blick auf die Dinge zu werfen.

Dass sie in ihren sogenannten „besten Jahren“ umwerfend aussah, schien sie gar nicht zu wissen, im Innersten war sie schüchtern und musste sich manchmal bei größeren Menschenmengen überwinden. Seltsam, dass ihr dann wiederum dieses Singen oder Springen in der Öffentlichkeit nichts auszumachen schien.

Ein wenig eitel war sie schon, sie achtete sehr auf ihr Äußeres, war immer gepflegt und gut bzw. passend gekleidet: die Spanne lag früher zwischen Handschuhen und Pumps einerseits, und zünftiger Fahrradbekleidung andererseits. Aber selbst beim Radfahren mussten die Haare immer wieder gerichtet werden und vor allem die Nase gepudert! Eine spezielle Bitte, die wir nun doch nicht mehr erfüllen können, kennt auch Irm: Ihr müsst mir nochmal die Nase pudern, wenn ich gestorben bin. Pudern musste sie aber selbst schon länger nicht, denn die Nase „glänzte“ nicht mehr und ihr Gesicht war für ihr Alter auf besondere Art jung, jedenfalls wenn es ihr gut ging.

In ihrer Ehe, die sie mit so viel Liebe und Zuversicht begann, ging es ihr bald nicht gut, in ihrer späteren Wahrnehmung erduldete sie alles viel zu lange, doch tatsächlich hat sie sich – gerade für die damalige Zeit – doch recht schnell entschlossen, neue Wege zu gehen, nachdem sie vorher „alle Register gezogen“ hatte, wie sie es ausdrückte. Und ich kann nur sagen, dass ich niemals unter der Situation, aus geschiedener Ehe zu stammen, gelitten habe; sie sprach nie schlecht von meinem Vater, sie war eine unsagbare gute geschiedene, mehrfach belastete, alleinerziehende, berufstätige Mutter – und das in den fünfziger und sechziger Jahren!!

Doch je älter sie wurde, umso mehr empfand sie das Fehlen eines Mannes an ihrer Seite als großes Manko in ihrem Leben, doch sie verfiel nie ins Lamentieren oder Hadern, immer wieder sah sie die guten Seiten ihres Lebens, das Glas halbvoll, nicht halbleer, Familie, gute Freunde und Bekannte, Jugendliche, Kinder um sie herum, und dann bereute sie doch nichts in ihrem Leben.

Dieses Lied hatte sich Christa von den beiden hier schon zu ihrem 80. gewünscht:

-     „Non, je ne regrette rien“ von Edith Piaf -

 

Die Demenz hat für mich, für uns einen sehr langen Abschied von ihr bedeutet, nach und nach hat sich einiges an ihrem Wesen geändert, manchmal zum fast Bösartigen, doch wahrscheinlich war auch dies ein Kampf, ein Kampf um ihre Autonomie, denn sie war bis dahin ein selbstbestimmter und selbstständiger Mensch, der so oft sehr viel Verantwortung für andere übernommen hat. Alles was ihre Biographie ausmachte, so viele wichtige Menschen, angefangen mit ihren geliebten Eltern, gingen ihrem Gedächtnis verloren, so viele Begebenheiten, Erlebnisse, Anekdoten sagten ihr nichts mehr, Orte wurden fremd, sogar das eigene Zuhause. Doch dann wiederum freute sie sich wie eh und je über Wolkenformationen, auf Englisch konnte sie noch eloquent parlieren, sie reagierte auf Schlagzeilen (denn sie waren groß genug gedruckt, nur diese konnte sie durch das allmähliche Erblinden noch lesen), die Missstände, soziale oder politische, ansprachen auch wie eh und je, nämlich empört, mit der Frage „Was wird denn dagegen getan, da muss doch etwas gemacht werden!“.

 

Und Witz und Schlagfertigkeit blieben ihr bis zum Ende erhalten; sie zog immer noch mal die Augenbraue hoch mit einem ihr eigenen Gesichtsausdruck, wenn sie etwas als merkwürdig empfand. Und als eine Pflegekraft ihren Mund inspizieren wollte und sagte „Frau Zwernemann, machen Sie mal den Mund weit auf und sagen Sie „A“, sagte sie ….. „B“ – und sie streckte mir noch am Tag vor ihrem Tod blitzschnell die Zunge heraus.

 

Zum Schluss danke ich Petra und Alexandre ganz besonders von Herzen, denn sie haben extra für heute, für Christa, das Lied einstudiert, welches sie in den letzten Monaten ganz oft, meist sogar wie in einer Endlosschleife nochmal und nochmal rezitiert oder gesungen hat; vielleicht hat sie sich wirklich so mit dem nahenden Tod beschäftigt, wie es die letzte Strophe nahelegt; ich hatte schon manchmal das Gefühl, dass es so war …

-      „Das Hobellied“ von Ferdinand Raimund –

 

Am Ende sollten wir alle heute und hier jedoch nicht so sehr an Abschied denken, sondern daran, uns immer wieder an sie zu erinnern und uns zu fragen, ob wir ihre Werte weitertragen können: alle Seiten hören und verstehen zu wollen, Toleranz, Mitgefühl, Suche nach Gerechtigkeit, Ernsthaftigkeit in vielen Dingen, aber auch Humor und ausgelassene Fröhlichkeit. Für mich selbst ist ihr Vermächtnis, meine eigene Art nicht zu verraten, mir selbst treu zu bleiben, denn wie sie zu gegebenen Anlässen zu sagen pflegte: „ich will mir doch meinen Charakter nicht erkälten!“.

Denn hier in der Natur werden wir daran erinnert, dass durch Samen die Art weiterhin bestehen bleibt!

Kondolenz

Hobellied (Ferdinand Raimund, 1833)

11.04.2015 um 12:48 Uhr

Dieses Lied aus Raimunds Zaubermärchen 'Der Verschwender' war in den letzten ca. 2 Jahren fest im Kopf von Christa verankert, häufig rezitierte oder sang sie es als ob eine Schleife im Gedächtnis sei: immer und immer und immer wieder, wobei sie Zuhörer hin und wieder schelmisch vor dem letzten Wort 'adje' oder auch 'adieu' fragte 'und sag der Welt ... na, was??'

Da streiten sich die Leut herum
oft um den Wert des Glücks;
der eine heißt den andern dumm,
am End weiß keiner nix.
Da ist der allerärmste Mann
dem andern viel zu reich,
das Schicksal setzt den Hobel an
und hobelt s‘ beide gleich.

Die Jugend will halt stets mit Gwalt
in allem glücklich sein;
doch wird man nur ein bissel alt,
da find man sich schon drein.
Oft zankt mein Weib mit mir, oh Graus!
Das bringt mich nicht in Wut.
Da klopf ich meinen Hobel aus
und denk: Du brummst mir gut!

Zeigt sich der Tod einst mit Verlaub
und zupft mich: „Brüderl, kumm!“,
da stell ich mich am Anfang taub
und schau mich gar nicht um.
Doch sagt er: Lieber Valentin,
mach keine Umständ! Geh!
Da leg ich meinen Hobel hin
und sag der Welt adje.

Kondolenz

... und 'was die Leute sagen'

11.04.2015 um 12:37 Uhr

Dieses Gedicht hat meine Mutter sehr oft in ihren letzten Jahren (bis vielleicht vor 4 Jahren, als es ihr nicht mehr möglich war, außer dem „Hobellied“ irgendetwas zu erinnern) rezitiert; ich konnte es trotz intensiver Suche nirgends finden und begann zu vermuten, dass sie selbst es vielleicht in jungen Jahren gedichtet hat …

 

Und rettest Du aus Lebenswirr'n,

aus Schuld und Kampf und Fehle,

Gedanken dir der eignen Stirn,

Gefühle Deiner Seele,

erscheinst du nie im Büßerkleid

in ihren Konventikeln,

wo Tantenklatsch und Basenneid

dein bessres Teil zerstückeln,

dann schäumt das Völkchen, weil's nicht kann

den Trotz in Fesseln schlagen,

und straft Dich mit Philisterbann -

und 'was die Leute sagen'.

 

Sollst nie vor ihrem Klatsch und Hass

den stolzen Nacken bücken;

wie schmutz'ges Wasser rieselt das

von einem Felsenrücken.

Wenn erst durch Wolkenballen bricht

die Sonn' in goldner Frühe,

reckt siegreich sich der Fels zum Licht -

versickert ist die Brühe.

Tief unten in der Niedrigkeit

und nie empor getragen,

da stinkt und modert Hass und Neid -

und 'was die Leute sagen'.

 

Was sind die Leute? Mir ein Gräuel -

kritiklos Heer von Heulern,

.....(hier scheinen mir nach der Syntax und dem Reimgefüge zwei Zeilen zu fehlen)

.....

 

ein Echo, das Verderben bloß

nachplappert ganz getreulich.

Der Mensch ist stark, die Menschheit groß,

doch Leute sind abscheulich.

.....(hier meinte meine Mutter, die Zeilen vergessen zu haben)

.....

 

Und sollst als Deines Lebens Ruhm

in bessre Welten tragen,

dass Du verlacht ihr Narrentum -

und 'was die Leute sagen'.

 

Kondolenz

Sprüche aus dem letzten Lebensjahr

07.04.2015 um 22:04 Uhr

'Ich folge errötend Ihren Spuren' (wenn eine Betreuerin sie irgendwo hinlotsen wollte)

'Fragen Sie mich mal was Leichteres' (wenn eine Frage oder Entscheidung sie überforderte)

 

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